Animationsfilm als zweites Zeitgefühl – Peter Blümel verstorben
Ihn anno 2011 zu einer Personalausstellung zu überreden, war nicht allzu schwer, ein wenig eitel ist ja schließlich jeder. Als DIAF-Vorstandsmitglied Ralf Forster und ich uns anschickten, gemeinsam mit Peter Blümel eine Konzeption zu erarbeiten, in seinem Zuhause Material zusammenzusuchen, ihn über sein Leben und sein Werk auszuhorchen, gab es keinerlei Hürden, es lief – wie man so schön sagt – wie am Schnürchen. Alles Material ward begutachtet, ausgemessen, aufgelistet, abgelichtet und für den Transport verpackt, der Aufbau in den Technischen Sammlungen Dresden gestaltete sich dann zu einer wahren Freude. DIAF-Geschäftsführer André Eckardt fand schließlich den schönen Ausstellungstitel: „Animationsfilm als zweites Zeitgefühl“.
Aber dann doch die unvermeidliche Frage, ob er, Peter Blümel, uns denn nicht auch für die Vernissage zur Verfügung stehen würde … Auf keinen Fall! Er reise doch so ungern, bliebe lieber in seinem Häuschen, den Garten zu pflegen und die Katzen zu versorgen. Auch früher habe er Babelsberg kaum je verlassen, Arbeitsberatungen prinzipiell in seinem dortigen Atelier durchgeführt und überhaupt … Erst seiner Tochter gelang es, ihn umzustimmen und mit dem Auto nach Sachsen zu lenken.
Es wurde eine der schönsten Ausstellungseröffnungen im DIAF, die ich je erlebt hatte. Peter Blümel hatte zwar nie im oder für das DEFA-Studio für Trickfilme gearbeitet, kannte aber viele der dortigen Kolleginnen und Kollegen, wusste über einige so manche Anekdote zu erzählen. Er bestritt – mit dem Mikrofon in der Hand – den Abend nahezu allein, und die Zuschauer amüsierten sich köstlich. André, Ralf und ich standen als „Moderatoren“ eher am Rande, während unser Gast mit souveräner Leichtigkeit und einem prägnanten Gedächtnis schillernde Schnurren aus seinem Leben zum Besten gab, einige seiner Filme beschrieb und vor allem ausgiebig seiner Liebe zum Animationsfilm huldigte.
Trickfilm statt Abitur
Geboren am 21. März 1934 in Babelsberg, verschlug es Peter Blümel als Oberschüler im Alter von 18 Jahren für einen Sommerferien-Job auf das DEFA-Gelände, wo er als „Mädchen für alles“ in den Puppentrick-Stab von Johannes Hempel geriet. Der drehte gerade Frau Holle, wenig später Streichholzballade, und Blümel ließ kurzerhand das Abitur sausen. Im DEFA-Studio für populärwissenschaftliche Filme blieb er ein Jahr, versuchte sich dann in einem Studium an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee und landete schließlich als Assistent für Bühnenbild am Potsdamer Hans-Otto-Theater. Wenig später wurde der zeichnerisch sehr Begabte – Vater Curt Blümel war Hintergrundzeichner und Kolorist bei der Deutschen Zeichenfilm GmbH – Student an der Meisterschule für das Kunsthandwerk Berlin-Charlottenburg, die er wegen des Ost-West-Konflikts bald wieder verlassen musste. Kurz darauf betrat er das Puppenstudio des Deutschen Fernsehfunks.
„Minol-Pirol“ und erste Musikclips
Es herrschte gerade Aufbruchsstimmung im Bereich des Animationsfilms in der DDR. In Dresden wurde soeben das DEFA-Studio für Trickfilme ins Leben gerufen, und beim Ostberliner Fernsehsender experimentierte Gerhard Behrendt mit Puppentrick, bis ihm Ende 1959 der große Wurf mit dem Kinderformat Unser Sandmännchen gelang. Nicht minder aufregend aber auch die Versuche des knapp 25-jährigen Blümel, die Puppen quasi nach populären Gassenhauern tanzen zu lassen. Für die TV-Musiksendung Gut aufgelegt realisierte er bis 1962, anfangs noch gemeinsam mit seiner Frau Ingeborg, zwei Dutzend „gestaltete Schlager“ – animierte „Musikclips“, wohl die ersten in Deutschland überhaupt. Etwa zur gleichen Zeit folgte dann für die neue TV-Werbesendung Tausend Tele-Tips der nächste Knüller mit der ebenfalls in Puppentrick ausgeführten Serie Minol-Pirol, heute eine Legende. Das Maskottchen der ostdeutschen Mineralöl-Marke „Minol“, jener aus einer Ölkanne geformte und vermenschlichte Vogel, erhielt seinen Namen lediglich wegen des Reims auf „Minol“. Er trat in insgesamt 30 kaum ein-minütigen Folgen auf, um mit kleinen Geschichten und pointierten Versen die Klasse-Produkte von „Minol“ anzupreisen.
Unvergesslich bleibt aber auch die von Peter Blümel für die Abendgrüße ins Leben gerufene Puppentrick-Kinderserie Spielzeugkiste, für die er zwischen 1966 und 1987 etwa 70 Episoden inszenierte und die schließlich von der Reihe Plumps abgelöst wurde, an deren Zustandekommen er ebenfalls nicht unwesentlichen Anteil hatte.
Werbefilme im eigenen „Studio 66“
Für Peter Blümel wurde der Werbefilm immer mehr zum beherrschenden Medium. Neben seiner Tätigkeit im Deutschen Fernsehfunk, wo er auch mit Kurt Weiler und Achim Freyer zusammenarbeitete, baute er sich in Babelsberg ein kleines Trickatelier auf, das er bald „Studio 66“ nannte. Er gehörte nun zu jener seltenen Spezies von Leuten in der DDR, die sich „private Filmhersteller“ nannten und für ihre Existenz eine „Lizenz“ benötigten. Hier entstanden Dutzende von Werbespots für eine breite Palette von Produkten und Anbietern, in denen er mit Animation experimentierte und sich in verschiedensten Techniken wie Flachfigurentrick, Fotomontagen, Sachtrick oder Collagen ausprobierte.
Zurück zur DEFA und zum Fernsehen
Als es mit der Werbung in der DDR Anfang der 1970er Jahre bergab ging, verlegte er seine Aktivitäten wieder stärker zum DEFA-Dokumentarfilmstudio nach Babelsberg und zum Trickfilmstudio des Fernsehens. Im Gesundheitsfilm für das Deutsche Hygiene-Museum Dresden Leo oder: Wer rastet, der rostet predigte er gemeinsam mit Kurt Weiler die Wichtigkeit von körperlicher Bewegung für Gesundheit und Wohlergehen, während er in den Abendgrüßen des Sandmännchens begann, mit Hilfe von raffiniert ausgeführten Flachfigurenanimationen und anspruchsvollen Geschichten das Niveau der beliebten Kinderfernseh-Serie weiter zu heben. Schließlich war es ihm sogar möglich, zur „geheiligten“ Sandmännchen-Produktion des Fernsehens vorzudringen, und in der dort üblichen, sehr aufwendigen und opulenten Puppentrick-Technik mehr als zehn Folgen von Unser Sandmännchen in eigener Regie zu realisieren.
Dozent an der HFF
Als der Deutsche Fernsehfunk Ende 1991 seine Pforten schloss und auch die DEFA-Studios dicht machen mussten, hatte Peter Blümel noch einen zweiten „Job“ parat: Für die Hochschule für Film und Fernsehen KONRAD WOLF in Babelsberg arbeitete er als Dozent im Lehrgebiet „Animation“ und führte – zeitweise gemeinsam wieder mit Kurt Weiler – das fort, was dort ein paar Jahre zuvor Günter Rätz und Jörg Herrmann begründet hatten.
Meine vielen Gespräche mit Peter Blümel waren höchst lehrreich, anspruchsvoll und auch unterhaltsam. Ein Telefonat mit ihm lief nie unter einer Stunde ab, im Hause Blümel gab es zum Plaudern stets Kaffee und Kuchen. Die Diskussionen kreisten – immer wieder – um das Wesen von Animation, deren Definition, deren Geschichte und deren Zukunft. Darüber zerbrach er sich rastlos den Kopf, grübelte und schrieb auf. Einiges von den Ergebnissen dürfen wir heute im DIAF aufbewahren. Filme hatte er nicht mehr gemacht. Leider konnten unsere persönlichen Gespräche in den letzten beiden Jahren aus den bekannten Gründen nicht mehr stattfinden, nun sind auch die Telefonate mit ihm für immer abgebrochen.
Am 29. Dezember 2021 ist Peter Blümel im Alter von 87 Jahren in Potsdam-Babelsberg verstorben.
Volker Petzold