Chronologie zum Animationsfilm in Deutschland 1910–19

Filmstill aus Die geheimnisvolle Streichholzdose, Guido Seeber, D 1910, Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei

Filmstill aus Die geheimnisvolle Streichholzdose, Guido Seeber, D 1910, Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei

Texte: Rolf Giesen, Jeanpaul Goergen

Redaktion: Rolf Giesen, Volker Petzold

 

1910. Die geheimnisvolle Streichholzdose von Guido Seeber

Guido Seeber mit Filmtrockentrommel, 1898, Quelle: Wikimedia Commons/Bundesarchiv, Bildbestand Oskar Messter, N 1275 Bild-289

Guido Seeber mit Filmtrockentrommel, 1898, Quelle: Wikimedia Commons/Bundesarchiv, Bildbestand Oskar Messter, N 1275 Bild-289

Der von der Deutschen Bioscop GmbH produzierte und von Guido Seeber animierte und fotografierte Film Die geheimnisvolle Streichholzdose, der eine Mischung aus Lege- und Sachtrick ist, wird ab 19. März 1910 zum Verkauf angeboten.

„Ein Streichholzverkäufer findet eine von einem Passanten verlorene goldene Streichholzdose, die er vergnügt in seinen Kasten tut. Er hat wohl der Schnapsflasche zu reichlich zugesprochen, jedenfalls schläft er ein, und nun beginnt ein wundersames Treiben. Die Streichholzdose öffnet sich selbsttätig, und es fügen sich die Streichhölzer in außerordentlich abwechslungsreicher Art zu verschiedenen, meist komischen Figuren zusammen. Man sieht unter vielem anderen: Napoleon nach der Schlacht von Jena und nach Waterloo, der Charakterkopf des alten Fritz, zwei Soldaten unter dem Kommando eines Feldwebels beim Exerzieren etc. Zum Schluss baut sich aus den Streichhölzern eine richtige Windmühle zusammen, es entsteht Feuer und nach und nach flammt die ganze Mühle auf, um schließlich in Trümmern zusammenzustürzen. Keine ruckweisen, störenden Bewegungen, sondern abgerundete, glatte Darstellung mit außergewöhnlich hübschen und oft komischen Effekten.“ (Der Kinematograph, Nr. 167, 9.3.1910)

Filmstill aus Die geheimnisvolle Streichholzdose, Guido Seeber, D 1910, Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei

Filmstill aus Die geheimnisvolle Streichholzdose, Guido Seeber, D 1910, Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei

Die Fachpresse ist begeistert: „Trickfilme gehören einmal zum Programm des guten Kino-Theaters, denn sie umgeben den Kinematographen mit jenem Schleier des Geheimnisvollen, Unerklärlichen, dessen anziehender Wirkung sich so leicht niemand entziehen kann. Voraussetzung ist natürlich, dass die Tricks gut sind und nicht ermüden. Beides trifft in hohem Maße auf den kleinen, aber außerordentlich gefälligen Film Die geheimnisvolle Streichholzdose zu. […] Alles in allem ein für jedes Programm, auch für Kindervorstellungen geeigneter, allgemein empfehlenswerter Film.“ (Der Kinematograph, Nr. 167, 9.3.1910)

Im Oktober 1914 bietet die Deutsche Bioscop diesen „berühmten Trickfilm“ in einer neuen Kopie erneut an. (Der Kinematograph, Nr. 406, 7.10.1914). Der Film kommt 1921 erneut in die Kinos.

Neben Prosit Neujahr 1910! (1909, ebenfalls von Guido Seeber) handelt es sich bei Die geheimnisvolle Streichholzdose um den ältesten erhaltenen deutschen Animationsfilm.

Publikation

  • Stiftung Deutsche Kinemathek (Hg.): Das wandernde Bild. Der Filmpionier Guido Seeber. Berlin 1979

 

1911. Erste Werbeanimationsfilme von Julius Pinschewer und Paul Effing

Die frühesten deutschen Werbefilme sind zugleich Animationsfilme. Sie fallen durch animierte Texte und die Verlebendigung von Produkten auf. Von den Pionieren entwickelt sich Julius Pinschewer zum bedeutendsten Werbefilmproduzenten der 1920er Jahre.

Im Januar 1911 präsentiert der Kaufmann Julius Pinschewer vor dem Verband der Markenartikelfabrikanten Berlin erste, auf eigene Rechnung produzierte Werbefilme. Ein Jahr später gründet er seine erste Firma für Filmreklame. In seinen frühen Werbefilmen Die Flasche oder Der Nähkasten werden Maggi-Flaschen bzw. Druckknöpfe der Marke Prym per Sachanimation bewegt. Pinschewer datiert sie auf 1912. Vermutlich ist Guido Seeber für die Trickkamera verantwortlich.

Zur selben Zeit vertreibt, ebenfalls in Berlin, der Ingenieur Paul Effing „Reklame-Films“, die als „feststehende Druckschrift-Titel, Springschrift-Titel kombiniert mit Bildzeichnungen oder Fabrikmarken“ ausgeführt sein können (LichtBildBühne, Nr. 36, 9.9.1911, S. 13).

In den 1920er Jahren spezialisiert sich Julius Pinschewers Firma auf animierte Werbefilme und entwickelt sich zu einem Kreativlaboratorium für Künstler wie Hermann Abeking, Leni Fischer, Hans Fischerkoesen, Harry Jäger, Rudi Klemm, Lutz Michaelis, Hedwig und Gerda Otto, Lotte Reiniger, Walter Ruttmann, Guido Seeber, Edith Seehafer, Curt Wiese und Hans Zoozmann. 1933 emigriert Julius Pinschewer vor den Nationalsozialisten in die Schweiz.

Publikationen

  • Julius Pinschewer. In: CineGraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film. Hamburg 1984 ff.
  • André Amsler: „Wer dem Werbefilm verfällt, ist verloren für die Welt.“ Das Werk von Julius Pinschewer 1883–1961. Buch und VHS. Zürich 1997
  • Günter Agde: Flimmernde Versprechen. Geschichte des deutschen Werbefilms im Kino seit 1897. Berlin 1998
  • Jeanpaul Goergen: Drei Männer und die Anfänge des deutschen Werbefilms. In: Werbefilme. Spiegel der Zeiten – Chronik des Alltags. Bielefeld 2002
  • Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. DVD, Berlin (absolut Medien) 2010

 

1912. Mathematische Trickfilme

Die für den Schulunterricht bestimmten Mathematischen Trickfilme von Prof. Ludwig Münch stellen u. a. den Lehrsatz des Pythagoras, das Apollonische Problem sowie ein astronomisches Bild der Sonnenbewegung nach Kopernikus dar.

Die Aufnahmen für die 25 Filme erfolgen vermutlich bei der Projektions AG Union (PAGU) in Frankfurt am Main. Münch stellt die Filme ab 1912 bei Kongressen und Tagungen vor. „Es wuchs im bewegten Bilde der Beweis in bewundernswerter Klarheit vor aller Augen aus der bekannten Figur heraus durch den Übergang inhaltsgleicher und kongruenter Flächen in andere Umrißformen oder andere Lagen. Noch überraschender gestaltete sich die Betrachtung krummliniger geometrischer Figuren, insbesondere der Kegelschnitte.“ (Kinematograph im mathematischen Unterricht. In: Frankfurter Zeitung, 17.2.1912).

Über eine Vorführung im Union-Theater Frankfurt am Main berichtet ebenfalls die Frankfurter Zeitung: „Geh. Schulrat Münch-Darmstadt, der zuerst den Gedanken gehabt hat, den Kinematographen in den Dienst des mathematischen Unterrichts zu stellen, gab selbst einige Erläuterungen. Er hat mit Hilfe der Uniongesellschaft, die dabei große Opfer für die Wissenschaft brachte, mehr als zwanzigtausend Zeichnungen, die Frucht vier mühevoller Jahre, in die Filmform gebracht und hat damit ein Anschauungsmaterial geschaffen, dessen Wert als unvergleichlich bezeichnet werden kann, namentlich für das Gebiet der höheren und höchsten Mathematik, dieses Schlüssels zu allen Wundern der Welt, zu allen Erfolgen der Technik, der Erd- und Himmelskunde.“ (Frankfurter Zeitung, zit. nach Lebende Mathematik. In: LichtBildBühne, Nr. 15, 13.4.1912, S. 28)

Publikationen

  • Der mathematische Film. In: LichtBildBühne, Nr. 24, 15.6.1912, S. 26
  • Gerhart Goebel: Ein aufsehenerregender Fund. Ein Schulmann macht Filmgeschichte. In: Der Filmkreis, Heft 3, 1958, S. 24–25

 

1914. Animationsfilm über die Schlacht von Sedan

Die vermutlich erste Kartenanimation enthält 25.000 Einzelaufnahmen, die die Stellungen und Bewegungen der einzelnen Truppenkörper bei der Schlacht von Sedan am 1. September 1870 im Deutsch-Französischen Krieg zeigen.

Januar 1914. „Dem Kaiser, der Kaiserin und zahlreichen Mitgliedern des Generalstabes wurde dieser Tage im Neuen Palais zu Potsdam ein hochinteressantes militärtechnisches kinematographisches Bild vorgeführt. Der Film wurde mit Meßterschen Apparaten aufgenommen und vorgeführt und bildet eine Arbeit von etwa 1 1/2 Jahren des Herrn Hauptmanns d. R. Baumeister [Otto] Müller. […] Die Vorführung wurde beifällig aufgenommen.“ (LichtBildBühne, Nr. 1, 3.1.1914)

Der Film ist nicht überliefert.

Archiv

  • Aufzeichnungen von Otto Müller zu dem Kartentrickfilm über die Schlacht von Sedan (Typoskript, 3 und 5 Seiten) in der Deutschen Kinemathek, Schriftgutarchiv.

 

1914–18. Lebende Kriegs-Karikaturen

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges zeigen die Wochenschauen „satirische Strichfilme“, „satirische Karikaturenfilme“ bzw. „scherzhafte Zeichenfilme“ mit politischer Stoßrichtung.

Die Deutsche Wochenschau Nr. 3/1914 enthält von Alexander Klar gezeichnete Karikaturen über die „deutschen Liebesgaben für England.“ In Österreich zeichnet Theo Zasche allwöchentlich Kriegskarikaturen für das Kino. Die meisten dieser „Lichtspielereien“ dürften Bilder von Schnellzeichnern gewesen sein, wie sie bereits vor Kriegsbeginn vereinzelt in den Wochenschauen zu sehen waren.

Das Sujet „Die Genickstarre in London“ aus der Eiko-Woche. Kriegsausgabe Nr. 31 verherrlicht die Ende Mai 1915 einsetzenden deutschen Zeppelin-Angriffe auf London: Menschen mit langen Hälsen, blicken, zum Teil durch Fernrohre, gen Himmel. Zwischen den Wolken erscheint ein Zeppelin und wirft Blitze.

Im September 1916 inseriert die Eiko-Film in der Fachpresse Kriegs-Karikaturen, gezeichnet von Fritz Schoen und Jak (Jacob) Winter. Sie sind „humoristisch-politisch-satirisch“ gehalten und Teil der Kriegsberichte der Eiko-Woche. Von den Darstellungen erscheinen auch mehrfarbige Postkarten. (Der Kinematograph, Nr. 403, 16.9.1914; Nr. 405, 30.9.1914)

Die National-Film Berlin plant indes im Oktober 1916 Kriegs-Karikaturen als „phantastische Glossen zur Zeitgeschichte“. Die „Serie I.“ ist ungefähr 127 Meter lang und kostet 80 Pfennig pro Meter. Von Otto Dely gezeichnet werden sie im November 1916 als „Delys lebende Karikaturen“ beworben. Eine Fachzeitschrift spricht von „genial hingeworfenen karikaturistischen Randbemerkungen zur Zeitgeschichte von Dely“.

Publikationen

  • Der Kinematograph, Nr. 407, 14.10.1914; Nr. 408, 21.10.1914; Nr. 412, 18.10.1914; Nr. 414, 2.12.1914
  • Schmidl: Der Krieg, das Kino und die Karikaturisten. In: Der Kinematograph, Nr. 424, 10.2.1915
  • ASIFA Austria (Hg.): Animationsfilm in Österreich. Teil 1. 1900–1970. Wien o. J. [1998]

 

1916. Paul Wegener zum Animationsfilm

Er erhofft sich durch abstrakt-ornamentale Trickfilme eine Reform des Kinos.

Am 24. April 1916 spricht Paul Wegener über „Neue Kinoziele“ im Saal der Berliner Singakademie:

„Sie alle haben schon Films gesehen, in denen plötzlich eine Linie kommt, sich krümmt, verändert. Es entstehen eventuell aus ihr Gesichter, und die Linie verschwindet wieder. Dieser Eindruck war mir höchst bemerkenswert. Es wird immer nur als Zwischenspiel gezeigt, und man hat noch niemals die ungeheuren Möglichkeiten dieser Technik bedacht. Ich könnte mir eine Filmkunst denken, die – ähnlich wie die Musik – in Tönen, in Rhythmen arbeitet. In beweglichen Flächen, auf denen sich Geschehnisse abspielen, teils noch mit der Natur verknüpft, teils bereits jenseits von realen Linien und Formen. […]

Paul Wegener um 1932, Quelle: Wiener Bilder, 5.6.1932, S. 10, Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei

Paul Wegener um 1932, Quelle: Wiener Bilder, 5.6.1932, S. 10, Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei

So will ich Ihnen einmal folgende Legende schildern, die ich seit Jahren mit mir herumtrage: Denken Sie an eines der Böcklinschen Meeresbilder mit den Fabelwesen der Tritonen und Nereiden, und stellen Sie sich vor, der Maler würde dieses Bild in Hunderten von Exemplaren mit den leisesten Verschiebungen malen, so dass sich aus ihnen kontinuierliche Bewegungsabläufe ergäben, so würden wir plötzlich eine sonst reine Phantasiewelt vor unseren Augen lebendig werden sehen. Dieses gemalte Meer würde schäumen, diese nur in Böcklins Hirn entstandenen romantisch-antiken Nereiden stürmen zu seinen Ufern und schreien; diese Tritonen würden sich im Wasser wälzen. Das Gewitter würde näher heranziehen. Es wäre ein ungeheuerlich erschreckender Eindruck, eine Welt leben zu sehen, die eigentlich nur in einem toten Bilde existiert!

Derartige Wirkungen kann man auch erzielen, wenn man kleine Modelle bewegt, d. h. im Sinne der Marionetten eigens dafür konstruierte Modelle – auf diesem Gebiet wird ja heute sehr viel geleistet. Phantastische, schemenhafte Figuren werden so konstruiert, dass man sie fotografisch bewegen kann, indem man eine Position aufnimmt, die zweite Position aufnimmt, und so weiter. Man kann dadurch, dass man zu langsam oder zu schnell dreht, Bewegungen verschiedenster Teile schneller oder kürzer machen, so dass ein Phantasiebild entsteht, das vollständig neue Assoziationen im Hirn hervorzurufen imstande ist. Kommt noch hinzu, dass man mikroskopische Teile in Gärung getretener chemischer Substanzen, kleine Pflanzen usw. in verschiedenen Dimensionen durcheinander fotografieren kann, so dass die Materie, aus der diese Visionen entstehen, gar nicht mehr erkannt wird. So treten wir in eine ganz neue bildliche Phantasiewelt wie in einen Zauberwald ein und kommen zu dem Gebiet der reinen Kinetik, der optischen Lyrik, wie ich sie genannt habe, die vielleicht einmal eine große Bedeutung gewinnen wird und dem Menschen neue Schönheiten erschließt. Das ist ja schließlich der Endzweck jeder Kunst, und dadurch gewänne das Kino ein selbständiges ästhetisches Gebiet.“ (Paul Wegener: Die künstlerischen Möglichkeiten des Films [Vortrag 1916]. Maschinengeschriebenes Original. Sammlung Kai Möller im Deutschen Filminstitut, Frankfurt am Main)

Ein Berichterstatter des „Kinematograph“ gibt seinen Eindruck von der Veranstaltung wieder:

„Doch er geht zu weit, wenn er von der jetzigen Filmproduktion nur den Kolportageroman und den Trickfilm gelten lassen will. […] Gewiss, der Trickfilm bürgt in sich das eigentliche Wesen der Kinotechnik (Wegener findet das nicht unschöne Wort ‚Kinetik’), doch nur diese Art allein für unbedingt passend für den Film zu finden, ist schon aus dem Grunde falsch, dass auch die von Wegener vollkommen abgelehnten Kinodramen und Romane so große Erfolge erzielt haben – auch bei den Gebildeten. […] Aber Wegeners ‚Neue Kinoziele’! Ich möchte nur zwei seiner Zukunftsträume erwähnen. ‚Photographische Lyrik’ und ‚optische Symphonie’.

Der Himmel bewahre uns! Ich weiß, ich bin den Lesern Definitionen dieser Begriffe schuldig. Und also sprach Wegener: ‚Eine ruhige weiße Fläche, Lilien wachsen plötzlich am unteren Rande auf. Die Lilien öffnen sich, blaue Flammen züngeln aus den Kelchen hervor. Flammendes Lilienfeld. Kleine und große Wolken türmen sich übereinander, untereinander, aufeinander, durcheinander, nebeneinander. Der Flammen erlöschen und alles löst sich wieder in die ruhige weiße Fläche auf.’“
(Der Kinematograph, Nr. 487, 26.4.1916)

Unter den Zuhörern ist Lotte Reiniger, die von dem Vortrag zu ihren Silhouettenfilmen angeregt wird. Wegeners Vortrag erscheint ein Jahr später unter dem Titel „Von den künstlerischen Möglichkeiten des Wandelbildes“ in: Der Kunstwart (Nr. 7, Erstes Januarheft 1917).

Publikation

  • Fritz Güttinger (Hg.): Kein Tag ohne Kino. Schriftsteller über den Stummfilm. Frankfurt am Main 1984, S. 341–350 (Reprint)

 

18. Dezember 1917. Ufa-Gründung

In der Ufa-Trickfilmabteilung realisiert Harry Jäger 1920 den Trickfilm Die letzte Pflaume sowie Grimm-Verfilmungen wie Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel (1921). Die Abteilung stellt aber nur wenige reine Animationsfilme her, sondern steuert vor allem Tricksequenzen für Kultur- und Spielfilme bei, etwa für Die Alpen. Geographische Laufbilder zu Lehrzwecken (1921), Geißel der Menschheit (1926) sowie den Zweiteiler Der Weltkrieg (1927/28). Ab 1927/29 fertigen hier Wolfgang Kaskeline, Paul N. Peroff und Hans Fischerkoesen überwiegend animierte Werbefilme.

Publikationen

  • Svend Noldan. In: CineGraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film. Hamburg 1984 ff.
  • Hans-Michael Bock und Michael Töteberg (Hg.): Das Ufa-Buch. Kunst und Krisen. Stars und Regisseure. Wirtschaft und Politik. Berlin 1992
  • Svend Noldan: Die Darstellung der Schlachten (1927). In: Filmblatt, Nr. 17, Herbst 2001, S. 7f. (Reprint)

 

1917/18. Trickfilme werben für die Kriegsanleihen-Zeichnung

Neben Textfilmen, Spielszenen, dokumentarischen Aufnahmen und gezeichneten Karikaturen entstehen auch einige Animationsfilme, zumeist in Sachtrickaufnahmen.

Ab 1917 setzt die Reichsbank für die Bewerbung ihrer Kriegsanleihen verstärkt den Film ein. Die meisten dieser patriotischen Werbefilme werden von Julius Pinschewer produziert und in die Kinos gebracht.

Der rund zehnminütige Kriegsanleihewerbefilm Das Säugetier der Münchner Union-Film in einfachster Legetricktechnik zeigt die Symbolfigur für Großbritannien, John Bull, als imperialistischer Krake, „wie er seine Polypenarme über die ganze Erde ausstreckt, wie dann aber Deutschlands Unterseeboote und Luftschiffe ihn zertrümmern. Die Karikaturisten strotzen von Künstlerübermut, bringen hübsche, lustige, Englands Gier verhöhnende Gedanken und Brennerts Verse erklären die Zeichnungen aufs trefflichste.“ (Kriegsanleihe-Filme I. In: Der Kinematograph, Nr. 561, 26.9.1917) Zu Beginn des Films sieht man den Zeichner in feldgrauer Uniform, wie er einen Kraken zeichnet und dann vom Titel „Das Säugetier“ die Umlautpunkte wegwischt, so dass der neue Titel „Das Saugetier“ lautet.

Publikation

  • Ulrike Oppelt: Film und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Stuttgart 2002

 

1917/18. Propagandistische Trickfilme von George Grosz und John Heartfield

Die Arbeiten finden im Auftrag des Auswärtigen Amtes im Atelier der Oliver-Film GmbH Berlin statt.

Über das Projekt „Wochenberichte oder periodische Zeitübersichten in der Form der Verfilmung der zeichnenden und modellierenden Hand“ schreibt Harry Graf Kessler (Auswärtiges Amt, Nachrichtenabteilung) am 19. November 1917: „Grosz hat eine sehr amüsante Idee, er möchte eine Art von gezeichneter Weltchronik (Monatschronik) machen, die gefilmt würde, indem das Publikum eine Hand sehen würde, die in grotesker Weise die monatlichen Ereignisse darstellen und karikieren würde.“

Ein anderer Zeichentrickfilm hieß Pierre in St. Nazaire bzw. Sammy in Europa (1918) – er wurde vermutlich Anfang der 1920er Jahre aus der Wohnung John Heartfields gestohlen. Material der Filme ist nicht überliefert.

Publikationen

  • Jeanpaul Goergen: Marke Herzfeld-Filme. Dokumente zu John Heartfields Filmarbeit 1917–1920. In: John Heartfield. Dokumentation. Reaktionen auf eine ungewöhnliche Ausstellung. Köln 1994, S. 23–66
  • Jeanpaul Goergen: „Soldaten-Lieder“ und „Zeichnende Hand“. Propagandafilme von John Heartfield und George Grosz im Auftrag des Auswärtigen Amtes 1917/18. In: Kintop 3. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films. Basel, Frankfurt am Main 1994, S. 129–142

 

1919. Animationsfilme von Walter Trier

Walter Trier (1890–1951), Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei

Walter Trier (1890–1951), Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei

Der bekannte Pressezeichner und Buchillustrator Walter Trier unternimmt 1919–21 Ausflüge in den Animationsfilm. Es entstehen einige „Kabarettfilme“.

Bei der Wiedereröffnung des Berliner Kabaretts „Schall und Rauch“ am 8. Dezember 1919 läuft „ein äußerst boshafter, aber bestrickend lustiger Karikatur-Film von Walter Trier“ (Franz Servaes: Schall und Rauch. In: Der Tag, Nr. 593, 9.12.1919). Der Film heißt Ein Tag des Reichspräsidenten und macht sich über den Reichpräsidenten Friedrich Ebert lustig.

In den folgenden Programmen werden weitere „Kabarettfilme“ des berühmten Zeichners vorgeführt. Sie gelten ebenso als verschollen wie Triers 1919/21 bei der Projektions AG Union (PAGU) hergestellte Animationsfilme mit Titeln wie Schönheitsabend, Triers Trick-Film (1920), Filmsterne (2 Teile, 1920) und Der Markt von Titipu (1921).

Publikationen

  • Jeanpaul Goergen: Von der Filmgeschichte bisher nicht beachtet. Der Zeichner Walter Trier schuf 1919 die ersten Kabarettfilme. Boshaftes über Ebert. In: Der Tagesspiegel, Berlin, 20.1.1991
  • www.walter-trier.de

 

1919. Erster Zeichentrickfilm von Hans Fischerkoesen

Hans Fischer, am 18. Mai 1896 Kösen geboren, der an der Leipziger Akademie für Graphische Künste studiert hat und sich später nach seiner Heimatstadt Fischer-Koesen (Fischer-Kösen) bzw. Fischerkoesen (Fischerkösen) nennt, wendet sich nach dem Krieg der Kinematographie zu und produziert mit einfachen Mitteln seinen ersten Zeichentrickfilm. Leider ist der Kurzfilm Das Loch im Westen verschollen.

Publikationen

 

20. Mai 1919. Geopolitische Animationsfilme des Wiener Instituts für Kulturforschung

Zur Premiere in Wien werden Teile des Zyklus Menschheit aufgeführt.

An der Wiener Universität gründet Erwin Hanslik 1915 ein Institut für Kulturforschung mit dem Ziel des Ausgleichs und der Völkerverständigung. In einem Trickfilmstudio werden geopolitische Filme für den Zyklus Menschheit (1919) hergestellt. „Den Kinos soll das Werk in Form einer Filmweltschau zugänglich gemacht werden. Diese besteht aus einer zwanglosen Folge von kleinen gezeichneten (Trick-)Films, welche in Anlehnung an die Tagesereignisse als Staaten-, Völkerschau u.s.w. eine politische Weltrundschau geben.“
(Das Filmwerk Menschheit. In: Erde, Nr. 3, 20.5.1919)

Der tschechische Künstler Berthold Bartosch realisiert Filme wie Das Werden des tschechoslowakischen Staates (1919) über die Ideen des politischen Philosophen und Staatsgründers Tomáš Masaryk. Die Uraufführung in Wien wird „die eigenartigste Filmvorführung, die jemals gezeigt worden ist: Der Trickfilm als wissenschaftliches und populärwissenschaftliches Aufklärungsmittel. […] Auf einmal, wie von Zauberhand gezeichnet, bewegt sich eine Zickzacklinie über die Fläche, rasch geistert sie hin und schafft im Nu Länder und Meeresküsten: das staatliche Bild Mitteleuropas, wie es sich auf Grund der in Diskussion stehenden Friedensbedingungen gestalten soll.“ (Der neue Tag, Wien, 22.5.1919, zit. nach Erde, Nr. 4, 11.7.1919).

Im Sommer 1919 initiieren Hanslik und Bartosch die Gründung eines Berliner Instituts für Kulturforschung, das von Hans Cürlis geleitet wird.

Publikationen

  • Institut für Kulturforschung (Hg.): Erde. Organ der Weltkulturgesellschaft. Wien, später: Wien, Berlin, 1918–1920
  • Berthold Bartosch. In: CineGraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film. München 1984 ff.

 

11. Juli 1919. Gründung des Instituts für Kulturforschung Berlin

Hans Cürlis organisiert sein Berliner Institut nach dem gleichnamigen Wiener Pendant von Erwin Hanslik. Aufgabe ist die Verbreitung politischer Ideen und kultureller Botschaften unter anderem durch Animationsfilme.

Lotte Reiniger, 1922, ©Christel Strobel, Agentur für Primrose Film Productions

Lotte Reiniger, 1922, ©Christel Strobel, Agentur für Primrose Film Productions

Zu den Gründungsmitgliedern gehören u. a. die Scherenschnittkünstler Richard Felgenauer, Toni Raboldt und Lotte Reiniger, der Kunsthistoriker (und spätere Ehemann von Lotte Reiniger) Carl Koch sowie Berthold Bartosch, der bereits für das Wiener Institut für Kulturforschung Trickfilme hergestellt hat. Stanislaus Kucharski baut einen Tricktisch mit Unterbeleuchtung, an dem sowohl politisch-propagandistische als auch künstlerische Silhouettentrickfilme entstehen. Hier realisiert Lotte Reiniger ihre Filme Das Ornament des verliebten Herzens (1919), Amor und das standhafte Liebespaar (1920), Der fliegende Koffer (1921), Der Stern von Bethlehem (1921) und Aschenputtel (1923). Die Herstellung von Silhouettenanimationen wird 1923 wegen Unrentabilität eingestellt.

Neben Lotte Reiniger sind im Institut Toni Raboldt, Richard Felgenauer sowie Berthold Bartosch mit Animationsfilmen oder Animationsfilmteilen beschäftigt, die u. a. die Folgen des Versailler Friedensvertrages für Deutschland thematisieren und nicht selten nationalistische Töne anschlagen. „Hiermit wurde zum ersten Male der Film in die kulturpolitischen Belange des Reiches einbezogen. Auch die filmische Form mußte hierzu neu gefunden werden, da der bis dahin nicht vorhandene kartographische Trickfilm jetzt auf kulturpolitische Themen angewandt wurde.“ (Cürlis, 1939) Die im Auftrag des Auswärtigen Amtes gefertigten Propagandafilme laufen nicht nur in den Kinos, sondern werden auch öffentlich mit Hilfe einer von der Berliner Firma Petra AG entwickelten Tageslichtleinwand aufgeführt.

Publikationen

  • Hans Cürlis: 20 Jahre Kulturfilmschaffen. In: Institut für Kulturforschung e. V. (Hg.): 1919/1939. Berlin 1939, S. 3–6
  • Hans Cürlis: Der Silhouettenfilm (1942). In: Filmblatt, Nr. 27, Frühjahr/Sommer 2005, S. 20–23 (Reprint)
  • Ulrich Döge: Kulturfilm als Aufgabe. Hans Cürlis (1889–1982). Berlin 2005
  • Jeanpaul Goergen: Angewandt oder weltverloren … Erkundungen über den Silhouettentrickfilm. In: Filmblatt, Nr. 27, Frühjahr/Sommer 2005, S. 5–16

 

12. Dezember 1919. Uraufführung von Das Ornament des verliebten Herzens von Lotte Reiniger in Berlin

Auf Vermittlung ihres Förderers, des Schauspielers Paul Wegener, kann Lotte Reiniger im von Dr. phil. Hans Cürlis gerade eröffneten Institut für Kulturforschung e. V. in Berlin ihren ersten Silhouettenfilm animieren: Das Ornament des verliebten Herzens. Lotte Reiniger beschreibt in einem Interview 1981 (zit. nach Ansgar Striepens, Deutscher Musikrat, 6. Januar 2018) den Film sinngemäß als Ballett eines Mannes und einer Frau, die von einem Kranz umgeben sind, der auf figürliche Art ihre Gefühle ausdrückt. Zuerst sind sie sehr verliebt und sanft, dann streiten sie sich. Die Frau verlässt den Mann. Der ist daraufhin so traurig, dass er sich mit einem Messer das Leben nimmt, aber die Frau holt ihn mit ihrer Liebe ins Leben zurück, und das Ornament wird in Form eines Herzens wiederhergestellt.

Publikation

  • DVD: Lotte Reinigers Doktor Dolittle & Archivschätze, Berlin (absolut Medien/arte Edition) 2006/2007

 

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