2. April 2012

Wandellust – Die Kunst der Knetanimation

©DIAF-Archiv
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DIAF-Ausstellung vom 20. April bis 30. September 2012 in den Technischen Sammlungen Dresden

Die Ausstellung „Wandellust“ stellt Arbeiten von sechs namhaften internationalen Künstlern und Regisseuren vor: Bruce Bickford (USA), Bettina Matthaei und Alexander Zapletal (Deutschland/ Tschechische Republik), Izabela Plucinska (Polen), Walter Später (Deutschland), Allison Schulnik (USA)  und Pärtel Tall (Estland). Information zu den Künstlerinnen und Künstlern s.u.

Im Fokus von „Wandellust“ steht die Möglichkeit der Animation mit Knete, zwischen räumlicher und graphischer Darstellung zu wechseln. So können Knetfiguren und Objekte fließend und unbegrenzt ihre Form und Gestalt verändern. Diesen Prozess der Verwandlung macht die Ausstellung mit Originalfiguren in verschiedenen Animationsphasen, Arbeitsfotos, Skizzen, Storyboards sowie Filmstills und -ausschnitten nachvollziehbar.

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Ausstellungstext

Ob Golem-Mythos oder Kindheitserfahrung: Aus toter, formbarer Masse lustvoll mit eigenen Händen Wesen zu kneten und diese mit Phantasie zum Leben zu erwecken, ist ein menschlicher Urinstinkt. Knetanimation dient diesem auf ganz besondere Weise. Sie erlaubt heitere bis düstersurreale Metamorphosen, die zauberhafte, gleitende Verwandlung von einer in die andere Form.

Knetanimation löst die Verheißung von Illusion durch Animation in unvergleichlicher Weise ein, denn sie verbindet den fließenden Formenübergang der Zeichenanimation mit der Bewegung im Raum und der Materialität der Puppenanimation. Die Technik vereint graphischen und plastischen Ausdruck. Übertrieben gestaucht und gestreckt, stets reparabel und mit Leichtigkeit eine andere Gestalt annehmend erzielen Knetwesen einen ebenso komischen und verstörenden Effekt wie ihre gezeichneten Kollegen und morphenden CGI-Artgenossen. Jedoch verbleiben Knetwesen durch ihre Plastizität und Ansiedlung in einem physisch wirklichen Raum weniger abstrahiert als diese. Die Tür zur außerfilmischen Realität steht einen Spaltbreit offen. Zudem haben Hände und Nase das Gefühl für Knete seit den Kindheitstagen abgespeichert. Knetanimationsfilme sind deshalb meist mehr als bloße audiovisuelle Erlebnisse, sie leben ebenso vom synästhetischen Erinnerungseffekt.

Die Ausstellung „Wandellust“ widmet sich speziell dem Vermögen der Metamorphose, sie blickt vorrangig auf den Prozess, das Werden. Unveränderliche Knetcharaktere in der Art von Animationspuppen sind deshalb nicht vertreten. Vielmehr existieren die vorgestellten Figuren in ihrer Ganzheit häufig ausschließlich im Film und faszinieren, weil Werden und Vergehen, Entstehung und Zerstörung so eng bei einander liegen. Eine Ausstellung hält diese Prozesse und die Animationsbewegung an, kann die Gestalten und Formen nur in einem Moment ihrer Veränderung zeigen. Zahlreiche Figuren wurden sogar exklusiv für diese Exposition neu angefertigt und teilweise zu Demonstrationszwecken vervielfacht. Aber allein das Anhalten erlaubt einen mikroskopischen Blick auf den Prozess, um ihn und die dahinter stehende künstlerische Arbeit zu verstehen. Auch wenn die zugrundeliegende Idee und Technik der Formveränderung in den gezeigten Positionen grundsätzlich ähnlich ist, warten die präsentierten Filme – mal näher am Plastischen, mal näher am Malerischen – mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen auf: Die Verwandlung als erzählerisches Mittel für eine überraschende Wendung in einer Geschichte oder fernab jeglicher Narration als magischer Moment und unaufhörlicher Prozess.

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Bruce Bickford gilt seit Jahrzehnten als einer der wichtigsten Vertreter der Knetanimation. Bekannt wurde er mit seinen Filmarbeiten für Frank Zappa in den 1970er Jahren. In dieser Zeit entwickelte er zahlreiche, brillante Morphingtechniken. Zudem arbeitet er mit Austauschmodellen für die Animation einzelner Knetfiguren, die mittlerweile in enormer Anzahl sein Atelier in Seattle bevölkern. Ebenso beeindruckende, psychedelische Metamorphosen kreiert er in seinen detailreichen line animations – Umriss-Zeichenanimationen mit Stift und Papier. CAS’L‘ ist Bruce Bickfords fortlaufendes Filmprojekt, an dem er seit über zehn Jahren arbeitet. Das apokalyptische 45-Minuten-Opus lebt von der aufwändigen Inszenierung eines großen Figurenensembles und dem unablässigen Pulsieren der sich verwandelnden Protagonisten, wie z.B. Riesenköpfe, die mit hervorquellenden Augen kleine Monster gebären und sich in Hamburger verwandeln.

www.brucebickford.com 

Alexander Zapletal und Bettina Matthaei haben ohne Zweifel das deutsche und internationale Kinderfernsehen mit ihren Knetfiguren geprägt und mit ihren Figuren mehrere Generationen von Kindern begeistert. Das Plastinot-Pärchen verzauberte zwischen 1973 und 1976 das Sesamstraßen-Publikum mit Verwandlungskünsten im minimalen Setdesign und trat auch im Abendgruß des Sandmännchens auf. Ihre Nachfolger Friedrich & Friedrich durften 1980 in Luzie, der Schrecken der Straße sogar an der Seite von realen Schauspielen agieren. Der tschechische Regisseur und die deutsche Gestalterin aus Hamburg vermitteln dem jungen Publikum mit ihren Knetfiguren u.a. den Gedanken, mit Fantasie die Welt verändern zu können. In unzähligen dreiminütigen Episoden tobten der grüne Plif, der blaue Plops und der orangefarbene Plummy ab 1978 über zwanzig Jahre durch die Sesamstraße. Die Plonsters – kurz für Plastilin-Monster – erleben dabei auch den wilden Westen.

www.youtube.com/user/plonsters/featured

Izabela Plucinska Die international renommierte polnische Regisseurin begann ihre künstlerische Arbeit mit Tonskulpturen und -reliefs an der Kunstakademie in Łodz. Dort erlebte sie ihre erste Berührung mit dem Animationsfilm und dem viel flexibleren Knetmaterial, mit dem sich nach ihrer Meinung eine starke dramatische Wirkung erzielen lässt, weil hier die Farben fließen können. Heute arbeitet sie in ihrem Berliner Atelier Claytraces vor allem mit Knetreliefs und -halbprofilen stets an der Grenze vom Plastischen zum Graphischen. Eugène Ionescos Geschichte Josette und ihr Papa, die mit kleinen Absurditäten aufwartet, gestaltete Izabela Plucinska 2010 als eine magische Welt in stark verzerrten Kulissen. Für ihren jüngsten Film Afternoon (2012) „malte“ sie erneut mit Knete und kreierte mit fragilen Umrissfiguren auf Glas sowie mit subtiler Animation des monochromen, flächigen Knethintergrunds die zarten Gesten einer Beziehung.

www.izaplucinska.com 

Allison Schulnik hat sich in der US-amerikanischen Kunstszene in jüngster Zeit vor allem einen Namen durch ihre geheimnisvollen Ölmalereien mit dickem Farbauftrag gemacht. Am California Institute of the Arts studierte sie bei Jules Engel experimentelle Animation. Mittels Knetanimation fand sie eine Ausdrucksform, die es ihr nunmehr ermöglichte, ihre künstlerischen Interessen an Bewegung, Tanz und Malerei auf perfekte Weise zu verbinden. Weltweites Aufsehen erregte Allison Schulnik 2009 durch ihr Musikvideo Forest für die Band Grizzly Bear, in dem die in Los Angeles lebende Künstlerin in einer Märchenwaldkulisse mit Naturmaterialien exzessiv das Formen- und Farbspektrum des Materials Knete nutzte, so z.B. wenn ihre zentrale Figur zu einem Farben-Fluss zerschmilzt. In Mound, von 2011 und zur Musik von Scott Walker, bewegen sich unzählige absonderliche Gestalten geisterhaft und tänzerisch in einem mysteriösen Ritual.

www.allisonschulnik.com 

Walter Später war ab 1958 einer der künstlerisch aktivsten Mitarbeiter des DEFA-Studios für Trickfilme in Dresden und prägte maßgeblich die Kunst des Handpuppenfilms. Aber auch Knete diente ihm als inspirierendes Material. Animierte Knetfiguren sind die Helden seiner damals äußerst populären Serien Plastel und Linchen (1975-1978) und Die Dudeldicks (1980- 1990) für das DDR-Kinderfernsehen. Mit der losen Filmserie Spiel mit Lehm beschritt er in den 1980er Jahren für die DEFA neue Wege bei der Animation für Erwachsene. Am Beginn der sieben Kurzfilme steht stets ein Klumpen Lehm. Aus ihm gehen die zentralen Figuren hervor, die sich in Geschichten um Liebe, Eifersucht und menschliche Schwächen wiederfinden. Mit viel Komik erzählt, liegt die Besonderheit der Filme vor allem im auffälligen Design – roh, ungeglättet und konsequent im erdbraunen Farbton des Materials. Eine Lehmwelt geschaffen aus der Fantasie und dem demiurgischen Können des Animationsfilmers.

www.diaf.de

Pärtel Tall entwickelte frühzeitig ein weit über eine Kindheitslaune hinausgehendes Interesse daran, mit Knete die Welt widerzuspiegeln: von detaillierten Automodellen bis zu prehistorischen Landschaften mit Sauriern. Als junger Künstler fertigt er Buchillustrationen mit Knete. 2002 erhält er schließlich die Chance, im traditionsreichen Tallinner Puppentrickstudio Nukufilm Knetwelten mit Animation zu bewegen. Porgand! (2003, estn.: Die Möhre) ist die Geschichte eines Schneemanns, der seine Nase immer wieder gegen den Hunger eines Hasen verteidigen muss. Dabei nutzt Pärtel Tall virtuos die Möglichkeiten der Knetanimation und lässt den Schneemann durch Morphing auf seiner Flucht vor seinem Rivalen verschiedenste Formen annehmen, in denen er sich versteckt: u. a. als Krake, Schneefräse und Känguru. Die rasante und äußerst phantasievolle Verfolgung wurde in zwei späteren Filmen fortgesetzt.

www.nukufilm.ee