Das DIAF gratuliert Achim Freyer zum 90.!
Der Theatermacher, Maler, Sammler und Stifter Achim Freyer feiert seinen 90. Geburtstag. Nahezu unzählbar sind die Schauspiel- und Opernaufführungen in aller Welt, bei denen er für Regie und Ausstattung verantwortlich war, nicht minder abreißend der Strom an Ausstellungen, in denen er seine bildkünstlerischen Werke präsentierte. Seine internationale Anerkennung, die er genießen darf, ist immens.
Seine Laufbahn begann der „Magier“ in Berlin als Bühnen- und Kostümbildner, in Dresden gestaltete er schon früh Figuren für das Staatliche Puppentheater. Weniger bekannt ist, dass er sich auch in die Geschichte des jungen DDR-Animationsfilms einschrieb, und dies nicht nur mit Arbeiten für die DEFA. Seine ersten Sporen als Gestalter für Trickfilme verdiente er sich im Ost-Berliner Deutschen Fernsehfunk (DFF). Dorthin geriet er durch den Zeichner, Puppenspieler und Regisseur Hans Schroeder, der gerade die neue TV-Handpuppenserie für Kinder Mautz und Hoppel aufbaute. Schroeder war einige Jahre zuvor Dozent an der Fachschule für angewandte Kunst Berlin-Schöneweide gewesen, genau dort, wo Achim Freyer studierte. Nun suchte der inzwischen freiberuflich wirkende Maler und Bühnenbildner neue Betätigungsfelder – und fand eines im DFF.
Fast schicksalhaft traf er dort – es war das Jahr 1959 – auf den Animationsfilmregisseur Kurt Weiler, der zu den Mitbegründern des DEFA-Studios für Trickfilme gehört und es 1958 verlassen hatte. Der beide zusammenführende Studioverantwortliche, der wenig später zum „Sandmann-Vater“ avancierte Gerhard Behrendt, brachte auch gleich ein Filmprojekt mit: die Adaption einer russischen Erzählung von Jewgrafowitsch Saltykow-Stschedrin. Bei der Umsetzung der Satire „Wie ein Bauer zwei Generäle ernährte“ konnte man eigentlich in der DDR ob der beißenden Kritik am Zarenfeudalismus ideologisch nicht viel falsch machen. Achim Freyer gestaltete die Figuren – und Kurt Weiler war begeistert von dessen Ideen, die mit Verfremdung, Stilisierung und Abstraktion einhergingen. Nicht so aber die Zulassungskommission des Fernsehfunks, die den fertigen Film am 29. Januar 1960 vor der geplanten Erstausstrahlung aus nie ganz ersichtlichen Gründen verbot. Ausgewaschene Formalismusvorbehalte hätten wohl im Raum gestanden, beispielsweise die Proportionen der Figuren betreffend oder auch die zu geringe Kenntlichmachung der beiden agierenden Generäle als zaristisch-russische … Der Film wurde zwar am 3. Juni 1962 – offenbar mit einigen Schnittauflagen – dann doch unter dem Titel Heute noch auf stolzen Rossen gesendet, da hatte aber Kurt Weiler schon längst seinen alten Arbeitsplatz gegen einen neuen getauscht.
In den Jahren 1961 und 1962 war der Regisseur im Ost-Berliner DEWAG-Studio für Werbefilme beschäftigt und inszenierte mehr als ein Dutzend kürzere oder längere Titel für verschiedene Auftraggeber. Während dieser Zeit setzte er seine Zusammenarbeit mit Achim Freyer fort, seine Begeisterung für den Künstler blieb bestehen: Kurt Weiler habe sich jedes Mal wie ein kleines Kind gefreut, wenn neue Puppen von Freyer im Studio eintrafen, berichtet noch heute ein Mitarbeiter von Weiler aus jener Zeit, und im auf Video aufgezeichneten Zeitzeugengespräch, das der Filmjournalist Ralf Schenk 2001 mit dem Regisseur führte, sieht man Weilers Augen regelrecht leuchten, wenn er von Achim Freyer schwärmt. Leider sind fast alle Filme Weilers aus dem Werbefilmstudio einschließlich Bildmaterial nicht mehr auffindbar, so dass man sich heute kaum noch eine Vorstellung auch über die Gestaltung durch Achim Freyer machen kann.
Anders die Situation bei kleinen Puppenanimationen, die zeitgleich der Regisseur Peter Blümel im DFF in Szene setzte und an denen Freyer ebenfalls als Puppenschöpfer mitwirkte: die Kult-Werbespots für DDR-Kraftstoff Minol-Pirol und sogenannte „gestaltete Schlager“ der TV-Unterhaltungssendung Gut aufgelegt – quasi erste puppenanimierte „Musik-Clips“.
Auch mit Gerhard Behrendt arbeitete Freyer im DFF zusammen – so an der 1962 begonnenen Langmetrage-Koproduktion Arabische Nächte mit Centaur Productions (London), einer Real-Trick-Verfilmung des Märchens „Ma’aruf, der Schuhflicker“ aus „Tausendundeiner Nacht“. Rechtlicher Probleme mit dem britischen Koproduzenten wegen konnte das Werk nicht fertiggestellt werden, das gedrehte Material gilt ebenfalls als verschollen.
Die äußerst produktive Zusammenarbeit Achim Freyers mit Kurt Weiler erfuhr nach der Schließung des DEWAG-Werbefilmstudios Ende 1962 zunächst eine Fortsetzung im DEFA-Studio für populärwissenschaftliche Filme in Potsdam-Babelsberg, wo Freyer als Gestalter u.a. an einer Reihe von sogenannten Gesundheits- und Arbeitsschutzfilmen mitwirkte, so beispielsweise bei Infektionsverhütung (1963), Aktive Erholung und Antiraucher (beide 1964) für das Deutsche Hygiene-Museum Dresden, beim Film über den notorischen Arbeitsbummler Ferdinand (1964) oder beim Plädoyer für Nachhaltigkeit Freddy Bockbein (1965).
Ab 1964 wirkte Kurt Weiler wieder im Dresdner Studio – und mit ihm auch Achim Freyer. Zeitlich kurz aufeinander entstanden drei Filme, die mit ihrer vor allem gestalterischen Innovationskraft zunächst Reibung hervorriefen, später aber Furore machten und zu den Höhepunkten deutscher Animations- und Puppenfilmkunst zählen: der Märchenfilm für Kinder Das tapfere Schneiderlein (1964) mit seiner ans Surreale grenzenden Ausstattung, die als Stabpuppenfilm ausgeführte märchenhafte Parabel Vom faulen Töpfer und dem fleißigen Wäscher und die satirische Geschichtsallegorie Heinrich der Verhinderte (beide 1965), bei der sich der Meister zahlreicher „zweckentfremdeter“ Materialien wie Nägel, Schrauben oder Bleche bediente.
Ein paar Jahre später arbeitete Kurt Weiler erneut auf dem Babelsberger Studiogelände, nun im DEFA-Studio für Kurzfilme. Und mit ihm wieder Achim Freyer, der bei zwei weiteren Puppentrickfilmen des Regisseurs seine unverwechselbare künstlerische Handschrift hinterließ. Es waren die philosophisch gefärbten und gesellschaftlich reflektierenden Geschichten mit großem Gleichnischarakter Der Apfel (1969) und Floh im Ohr (1970), mit denen letztlich aber auch die Zusammenarbeit der beiden Männer endete. Achim Freyer führte ab 1972 seine Karriere im Westen fort, Kurt Weiler musste sich auf andere Künstler fokussieren, mit denen er eine Vielzahl weiterer interessanter Filme drehte und seinen Namen als bedeutendster Animationsfilmregisseur der DDR stärkte. Achim Freyer jedoch sollte sein wichtigster Inspirator bleiben. Nicht zuletzt dafür gebührt dem „Zauberer“ noch heute großer Dank!
Volker Petzold