Sonderausstellung „LATENTE BEWEGUNG. Piotr Kamler – Materie und Zeit“

©DIAF
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Im Jahr seines 25. Gründungsjubiläums präsentiert das Deutsche Institut für Animationsfilm (DIAF) eine Sonderausstellung zum Werk des polnischen Animationskünstlers Piotr Kamler. Gezeigt werden nicht nur elf der über 20 philosophisch-fantastischen Filme des Künstlers sowie Foto- und Videomaterial, das einen Einblick in seine Arbeitsweise gewährt. Erstmals außerhalb Polens sind auch Kamlers „Raumstrukturen“ aus Metall und Papier zu sehen. Diese filigranen Skulpturen eröffnen neue Blickachsen auf Kamlers prämiertes narratives wie abstraktes filmisches Werk.

Mit der Personalausstellung würdigt das DIAF das Werk eines Grenzgängers zwischen Ost- und Westeuropa. Piotr Kamler und seine Ehefrau Krystyna, die neben ihrer Arbeit als Bühnenbildnerin an einigen seiner „französischen“ Filme mitwirkte, pendelten beruflich zwischen Paris und Warschau. Nach rund 25 Jahren in Frankreich lebt das Paar wieder in Warschau, wo sich Kamler neben seiner Arbeit an „Computerfilmen“ (Wortschöpfung Kamler) Skulpturen widmet. Bis heute verbinden ihn Freundschaften mit bedeutenden Künstlern aus Polen und Frankreich. Eine Doppelausstellung im polnischen Łańcut widmete sich 2017 seinen und Witold Gierszs Arbeiten.

Die unergründlich-geheimnisvolle Beziehung von Bewegung und Zeit ist die Gravitationskraft im Werk Piotr Kamlers. Für ihn ist Bewegung weitaus mehr als Ausdruck ästhetischer Werte. Sie bedeutet die Schöpfung von Räumen voller metaphysischer Kraft. Das Experimentieren mit Materialien und Verfahren machte Kamler zu einem der produktivsten Forscher im Umfeld von Pierre Schaeffer, dem Pionier für elektroakustische Klänge beim französischen Rundfunk (ORTF).

Piotr Kamler und „Raumstrukturen“ beim Aufbau der Sonderausstellung, ©DIAF

Piotr Kamler und „Raumstrukturen“ beim Aufbau der Sonderausstellung, ©DIAF

Künstlerische Forschungen und fantastische Paradoxien

In seinen audiovisuellen Erkundungen und Fabeln hinterfragt Piotr Kamler die Gesetze der Zeit. Dabei offenbaren sich schlüssige Räume für das Unwahrscheinliche im Universum. Beim ORTF in Frankreich entwickelte Piotr Kamler von 1965 bis 1986 aufsehenerregende audiovisuelle Projekte. In enger Zusammenarbeit mit Komponisten der Musique Concrète wie François Bayle und Luc Ferrari entstanden Kurzfilme mit aufwändigen Spiegel- und Lichteffekten und mannigfaltigen Texturen. Neben formalen Experimenten widmete sich Kamler zunehmend „philosophischen Märchen“. Auch in seinem einzigen Langmetragewerk Chronopolis (1982) berühren Form wie Inhalt existentielle Fragen.

Visuelle Musik und Raumstrukturen

Animationsfilm verortet Piotr Kamler im wechselseitigen Spannungsfeld von narrativem Film und Skulptur, wobei visuelle Aspekte für ihn prioritär sind. Die Begegnung mit dem kanadischen Animationskünstler Norman McLaren 1958 hatte Kamler die Einsicht gebracht, dass die Bewegung einen plastischen Wert darstellt – neben Form, Farbe und Schattierung. Beim künstlerischen Schaffen behandelte Kamler fortan Linien, Punkte etc. zunehmend wie Klänge. Musik wurde für ihn zu einem Muster, das es nachzuahmen gilt. Seine Skulpturen – wie in Bewegungslosigkeit erstarrte Animationen – erwachen durch Blicke zum Leben. So wird der durch den Ausstellungsraum schreitende Betrachter zum Animator.

Filmstill aus Une mission éphémère (Piotr Kamler, Polen, 1993), ©aaa production

Filmstill aus Une mission éphémère (Piotr Kamler, Polen, 1993), ©aaa production

Piotr Kamler

Piotr Kamler, geboren 1936 in Warschau, absolvierte die Fakultät für Grafik an der Akademie der Schönen Künste in seiner Heimatstadt. Ende der 1950er Jahre produzierte er seinen ersten animierten Film Miasto (Stadt). Ein Stipendium von Eugeniusz Kucharski, dem Direktor der Université Populaire de Paris, führte Kamler in die französische Hauptstadt. Dort lebte er von 1959 an, setzte zunächst sein Studium fort und arbeitete bald mit Pierre Schaeffer sowie mit Musikern wie François Bayle und Luc Ferrari zusammen. Kamler schuf zahlreiche Animationsfilme, darunter das Langmetragewerk Chronopolis (1982). Im Jahr 1986 kehrte er in seine Geburtsstadt zurück und widmet sich seit einigen Jahren den „Raumstrukturen“, Skulpturen aus Metall.